Ein Beispiel für gelungene Integration

Kidst mit Partner Werner
Nach 11 herausfordernden Jahren eine geschätzte
und benötigte Mitarbeiterin in der heimischen Gastro-
nomie: Kidst mit ihrem Lebenspartner Werner im
Lokal am Lichtenfelser Hallenbad
erlebt und aufgeschrieben von unserer Aktiven Bürgerin Maria Hollering-Hamers

Als schönes Beispiel für eine gelungene Integration möchte ich hier heute Kidst vorstellen. Kidst Tesfaye-Yihun, eine 48-jährige Äthiopierin, die schon elf Jahre hier in Deutschland bei uns in Lichtenfels lebt. Kidst hat ein bewegtes Leben hinter sich, ein Leben voller Gewalt, mit viel Schmerzen und Sorgen. Und dass ich schreiben kann, dass sie heute glücklich ist, hier zu sein, eine Lichtenfelserin zu sein, allein das grenzt schon fast an ein Wunder.

Schwieriger Start in Deutschland

Kidst floh nicht wie Hunderttausend andere Menschen aus ihrem Heimatland, weil es ihr dort schlecht ging, weil sie Hunger leiden musste, kein sauberes Wasser hatte oder keine Wohnung. Nein, sie floh vor häuslicher Gewalt, massiver Gewalt, die sie dazu brachte, Hals über Kopf das Land zu verlassen, obwohl sie dort zwei kleine Söhne hatte, die ihre Mama so dringend gebraucht  hätten. Sie hatte eine Ausbildung als Schneiderin gemacht, den Beruf aber nicht ausgeübt. Geschneidert hat sie nur zu Hause, für sich, für die Familie. Als sie 2012 aus Äthiopien wegmusste, arbeitete sie als Zimmermädchen in einem Hotel in Addis Abeba.
Nach mehreren gefährlichen Verletzungen, die ihr damaliger Ehemann ihr antat, suchte sie nach einer Möglichkeit, aus seiner Reichweite zu kommen und kam in Verbindung mit einem „Kontaktmann“, der ihr (falsche?) Papiere besorgte, damit sie auf „legalem“ Weg einfach nach Frankfurt fliegen konnte. Diese Papiere wurden ihr hier am Flughafen wieder weggenommen. Andere hatte sie nicht, denn innerhalb Äthiopiens hatte sie nie einen Pass gebraucht.

Maria Hollering-Hamers
Maria Hollering-Hamers
Foto: Georg Hollering

Damit begann dann ihr „neues Leben“ als Geflüchtete in Deutschland, dessen Sprache sie nicht verstand und dessen Gebräuche und Gewohnheiten für sie allesamt Neuland waren. Kidst erinnert sich, dass sie ab Frankfurt Flughafen mit anderen Frauen in einem Kleinbus ins Auffanglager nach Gießen gebracht wurde. Da war sie nur wenige Tage, dann ging es nach Zirndorf. Im Transferbus, der sie dorthin brachte, lernte sie die Äthiopierinnen Hanna, Tigist und Meti kennen, die später mit ihr nach Lichtenfels kamen. Während der ersten drei Jahre wohnten die vier Frauen in einem Zimmer im vormaligen Bergschloss, ein Gebäude, das auch damals, 2012, schon ziemlich verfallen und vernachlässigt war. Kidst erinnert sich an die schlechten sanitären Verhältnisse.  Sie wohnten ganz oben, die Dusche und die Toilette waren im Keller. Hanna war in dieser Zeit schwanger und natürlich war das für sie besonders beschwerlich. Außerdem waren die vier äthiopischen Frauen dort nicht allein. Es wohnten auch andere Geflüchteten im Bergschloss. Darunter waren auch junge Männer, die die Frauen öfters belästigten.

An diese drei Jahre in unserer Stadt hat Kidst keine so guten Erinnerungen. Der Anfang war schwer, es gab viele Probleme. Und emotional muss es auch sehr hart gewesen sein: das Gefühl, als Mama ihre Kinder im Stich gelassen zu haben und nicht zu wissen, wie es weitergeht, keine Ahnung davon zu haben, wann sie ihre kleinen Söhne wieder in die Arme schließen können würde, das waren Sorgen, die sie kaum zur Ruhe kommen ließen …

Schrittweise geht es aufwärts

Eine neue Phase fing an, als das vormalige City-Hotel am Bahnhof für Geflüchtete hergerichtet und den vier Äthiopierinnen schöne Zimmer mit einem eigenen gemeinschaftlichen Badezimmer zur Verfügung gestellt wurden. Hausverwalter Herr Busch sorgte für Ordnung im Haus und somit ließ es sich dort gut wohnen. Kidst bekam ein großes Zimmer, das eigentlich für zwei Personen ausgelegt war. Es war dann schon das Jahr 2015, in dem so viele Menschen aus fremden Ländern hier zu uns flüchteten. Auch die junge Äthiopierin Tigist, die wir auf Grund ihrer geringen Körperlänge „die kleine Tigist“ nannten, im Gegensatz zu Tigist, die schon da war, zog ins City-Hotel ein und wurde durch Kidst in ihrem Zimmer willkommen geheißen und bei den ersten Schritten in Lichtenfels geholfen.

Das war für den Beginn eine gute Lösung. Später, als Kidst Arbeit gefunden hatte und spätabends nach Hause kam, das Licht anknipste und noch einige Dinge erledigen wollte, wurde es schwierig. Aber auch da konnte man Abhilfe schaffen: Kidst bekam ein kleineres Zimmer, ganz oben im Haus für sich allein. Und somit waren beide Frauen wieder zufrieden.

Aktive Bürger helfen bei den ersten Schritten

Während dieser Zeit gab es viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei den „Aktiven Bürgern“, die einige Male in der Woche Sprachunterricht erteilten. Das taten auch wir, mein Mann Georg und ich. Obwohl wir beide Lehrer sind, war das nicht leicht. Manchmal saßen in unseren Stunden 15 Personen zwischen 8 und 50 Jahren aus 5 verschiedenen Ländern mit ebenso vielen verschiedenen Sprachen. Darunter auch Sprachen, die eine ganz andere als unsere lateinische Schrift haben. Für uns waren diese Leute dann „Analphabeten“, obwohl die meisten in ihren Ländern zur Schule gegangen waren und in ihrer Sprache lesen und schreiben konnten. Das alles war uns nicht so bewusst, wodurch es große Anfangsschwierigkeiten gab. Die vier jungen Äthiopierinnen besuchten fleißig unseren Unterricht und tasteten sich so Schrittchen für Schrittchen an die für sie neue deutsche Sprache heran. Kidst bemühte sich sehr und auch später, als dieser freiwillige Sprachunterricht schon eingestellt war, besuchte sie selbst eine Sprachenschule, um ihre Kenntnisse zu verbessern.

Entscheidender Schritt: arbeiten dürfen

So wie auch alle anderen Geflüchteten durfte Kidst in den ersten Jahren hier nicht arbeiten, keinen Beruf ausüben. Das war nicht einfach, denn auch sie wollte ihre Tage gerne mit sinnvollen Tätigkeiten füllen. Das war aber nicht erlaubt. Irgendwann kam dann der Tag, dass das Landratsamt ihr die Genehmigung erteilte, arbeiten zu dürfen. Da sie in ihrem Heimatland schon als Zimmermädchen gearbeitet hatte, nahm ich sie mit ins Korbstadt-Krone Hotel. Dort sprachen wir mit Frau Kreier, die sofort bereit war, es mit Kidst zu versuchen. Das war eine sehr positive Erfahrung für sie und soweit ich es immer wieder von ihren Arbeitgebern hörte, waren sie mit Kidst Arbeitsleistung zufrieden. Schon bald konnte man sie auch als Küchenhilfe einsetzen. Ich erinnere mich an die Fotos auf ihrem Handy, wo sie mir zeigte, welche Salate sie sich merken musste, die sie dann abends für die Gäste im Restaurant zubereiten konnte. Bei dieser Arbeit in der Hotelküche lernte sie Werner kennen. Als Koch gab er ihr Anweisungen und führte Kidst in ihre neue Tätigkeit ein. Es entwickelte sich eine schöne Freundschaft. Kidst integrierte sich gut in das Serviceteam des Korbstadthotels, nahm an Ausflügen und Kollegentreffen teil und fühlte sich wohl. So wohl, dass sie eines Abends zu einem Musikfest in Bad Staffelstein ein Dirndl anzog, ein Zeichen, dass sie gerne dazu gehören wollte.

Ich war schon einige Male zu Festen im City-Hotel eingeladen, wobei die Äthiopierinnen herrliche Buffets mit Spezialitäten aus ihrer Heimat gezaubert hatten. So entstand die Idee, mal einen äthiopischen Kochabend anzubieten. Dazu stand uns die Schulküche in Vierzehnheiligen zur Verfügung. Das Angebot wurde gut angenommen. Kidst und ihre äthiopischen Freundinnen hatten einige Gerichte ausgesucht, die wir gut gemeinsam kochen konnten. Ich erinnere mich an Doro wot, ein leckeres Hähnchengericht und natürlich an die Injera, die Fladenbrote aus Teffmehl, die in Äthiopien immer überall dazu gegessen werden. Ein zweiter Kochabend folgte, weil genug Interessierte da waren.

Weitere Schritte der Integration gelingen

Als die Zeit fortschritt, erfolgte eines Tages auch die Genehmigung, aus dem Zimmer im City-Hotel ausziehen zu dürfen und eine eigene Wohnung zu beziehen. Ein großer Schritt in ein normales Leben als Mitbürgerin unserer Stadt. Sie verdiente ihr eigenes Geld, war unabhängig und konnte nun ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen. Nachdem ich ein paar kleine Wohnungen im Internet gefunden hatte, zogen wir zusammen los, um eine davon zu besichtigen. Das war gleich richtig, und Kidst begann sich einzurichten. Auch da bekam sie wieder Hilfe von ihrem Arbeitgeber aus dem Korbstadthotel. Als alles fertig war, lud sie uns auf ein leckeres Essen in den eigenen vier Wänden ein.

Während die Jahre vergingen, vertiefte sich die Freundschaft mit ihrem Kollegen Werner. Heute sind die beiden ein Paar und schmieden sogar Hochzeitspläne. Auch das ist wieder nicht einfach. Kidsts gewalttätiger Mann ist inzwischen in Äthiopien verstorben, und sie ist frei. Um das aber nachzuweisen und um wieder Kontakt zu ihren Söhnen aufzubauen, reiste sie voriges Jahr zurück nach Äthiopien, jetzt mit gültigen Papieren, sie hat einen „vorläufigen Pass“. Nie in all den Jahren hat sie die Hoffnung aufgegeben, dass ihre Jungs irgendwann zu ihr nach Lichtenfels kommen dürfen und dass sie nach so vielen schmerzhaften Jahren  der Trennung wieder mit ihren Kindern vereint  sein wird. Der Älteste, Natnael ist 16, Eyuel 13 Jahre alt. (Mir ist aufgefallen, dass in beiden Kindernamen die Silbe EL eingebaut ist, eine alttestamentliche Bezeichnung für Gott! Kidst gehört der äthiopisch-orthodoxen Kirche an.)

Um diesen „vorläufigen Pass“ und eine Aufenthaltsgenehmigung für Lichtenfels zu bekommen, die ihr die Angst nimmt, nach so langer Zeit doch noch abgeschoben zu werden, hat sie sich in Nürnberg an die Härtefallkommission gewandt. Dort gibt es ein „Rosa Frauencafé“, wo Frauen mit ihren sehr unterschiedlichen Problemen Gehör finden. Um zu beweisen, dass sie sich hier integrieren will und eine wertvolle Mitbürgerin unserer Stadt sein kann, hat Kidst auch ehrenamtlich gearbeitet: fürs Rote Kreuz in der Kleiderkammer, im Kindergarten und in der Sporthalle der Berufsschule, als die ukrainischen Flüchtlinge hier eintrafen.

Und das Neueste ist: Kidst und ihr Lebensgefährte Werner haben einen großen und mutigen Schritt in die Zukunft gemacht: gemeinsam haben sie die Gastronomie im Merania-Hallenbad übernommen. Dort bewirten sie die Gäste mit viel Fachkompetenz. Leckere Gerichte stehen auf der Speisekarte und Werner als gelernter Koch hat viel Freude an dieser Arbeit. Da können wir nur viel Erfolg und viele nette und freundliche Gäste wünschen!

Warum ist die Integration gelungen?

Auf eine Anfrage unserer Organisation „Aktive Bürger“ hin, habe ich ein langes Gespräch mit Kidst und Werner geführt, ein Interview gemacht. Kidsts Deutsch ist sicher noch nicht perfekt und lange Antworten manchmal schwer zu verstehen und zu begreifen. Deshalb habe ich ihre Vita hier als eine Art „Lebensgeschichte“ verfasst. Ich bin der Meinung, sie ist ein ideales Beispiel für eine gelungene Integration. Trotz aller Widerstände ist Kidst in Deutschland und bei uns in Lichtenfels angekommen.

Viele haben ihr dabei geholfen: Ich denke da an den Hausverwalter des City-Hotels, Herrn Busch, der sah, dass sie strebsam und ordentlich ist und ihr half, im Haus einen guten Platz zu bekommen. Aber auch an Frau Kreier vom Korbstadt-Hotel, die keine Bedenken hatte, es mit ihr als Zimmermädchen und Küchenhilfe zu versuchen. Wie sie mir schon oft versicherte, ist sie mehr als zufrieden mit Kidst und ihrer Arbeit. Auch die Kollegen und Kolleginnen im Hotel haben ihren Anteil geliefert, dass Kidst sich dort angenommen und wohl fühlte. Sie arbeitet dort auch weiterhin.          

Wir Ehrenamtlichen, die mit ihr erste und weitere Schritte gegangen sind, spielten dabei auch unsere Rolle. Aber die schwerste Arbeit hat Kidst selbst geleistet: Sie hat sich immer wieder aufgemacht, trotz Hindernissen, Ängsten und Sorgen hier ihr Leben zu leben. Was für ein Glück, dass sie dabei Werner an ihrer Seite hat. Wir von den „Aktiven Bürgen“ wünschen den beiden ein glückliches gemeinsames Leben, vielleicht mit weniger Sorgen, mit weniger Problemen und Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt.

Und am Ende hoffen wir mit Kidst, dass Natnael und Eyuel bald mit ihrer so lange von ihnen vermissten Mama hier leben können.

Maria Hollering-Hamers, August 2023

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